veter i volny ist ein gemeinsames Projekt von DRB, Interra, MitOst Hamburg und Roald Amundsen

veter i volny 2016: Kiel – Kaliningrad

von Mike Marquardt, 2. Steuermann, Roald Amundsen

Auslaufen Kiel – 27. Juni 2016 

Die Kieler Woche war gelaufen; diese Woche ist mit unglaublichem Stress verbunden, taeglich bis auf Mittwoch (oder Donnerstag) eine Tagestour mit ca 80 Gaesten an Bord, danach alles wieder aufklaren, shipshape, Sonderausstattung und Müll von Bord (u.a. 4 zusaetzliche Rettungsinseln, Bierzapfanlage und unendliche Getränkekisten….)

Ich war dieses Jahr die KiWo nicht mitgesegelt, aber am Sonntag an Bord gekommen, um die naechste Reise, “veter i volny” nach Kaliningrad, mit vorzubereiten.

Eine fremde Crew mit wenigen erfahrenen Seglern, Sprachprobleme mit deutschen (welcher Deutsche versteht schon die Seemannssprache?) und russischen Teilnehmenern und das Bordbuch noch nicht ins Russische uebersetzt…..? Mal sehen wie das laufen würde….

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Montag, 27.Juni

Wir machten gem MSM-Routine seeklar wie immer und liefen aus. Ich spare mir die Beschreibung der vielen Belehrungen und Einweisungen an die Crew, aber eines spürte ich bei meinem Drittel der Besatzung (00-04-Wache, 12 Leute, je zur Hälfte Russen und Deutsche) sofort: Das waren hochintelligente und motivierte Leute.

Wir hatten Auslaufen Kieler Foerde die Wache und es lief wie von alleine. Mehrere der ‘Mädels’ (mit meinen 77 Jahren sind sie alle ‘Mädels’) waren zweisprachig perfekt und diejenigen welche Probleme hatten wurden in English weitergebracht. Sie nahmen die etwas ‘lahmeren’ Junx einfach mit…

Es dauerte allerdings bis alle zur Ruhe fanden. Im Gegensatz zu vielen Reisen mit deutschen Besatzungsmitgliedern fand ich aber vor 24:00 meine gesamte Wache klar, angezogen, mit der notwendigen Tasse Tee in der Hand, bereit zum mitternächtlichen Wachwechsel an Deck. – Das sind gestandene Leute, dachte ich mir…

Unser Topsgast kontrollierte die Vollzaehligkeit, ich besprach mit dem abzulösenden Steuermann einige nautische Details, dann zog die 08-12 Wache ab und wir segelten in der mitternächtlichen Ostsee in Richtung Bornholm.

Die erste Zeit der Dunkelheit benutzten wir auf der Brücke um uns gegenseitig bekannt zu machen. Es lief praktisch auf eine Simultandolmetschung hinaus, jeder verstand jeden.

Unsere Ruder- und Ausgucksposten wurden dabei zunaechst noch von der Stammbesatzung besetzt. Die westliche Ostsee ist eines der meistbefahrenn Seegebiete der Welt und wir wollten keine Havarie zu Beginn der Reise riskieren. Gegen 01:30 begann es zu dämmern, da waren wir bereits so weit die ersten Ausbildungsschritte an Deck zu unternehmen. Hand auf Hand wurden die Trainees zu den Belegnaegeln gefuehrt und mittels grosser Zeichnungen auf den Decksplanken die einzelnen Bedienungselemente (Taue = kanat /nicht verjovka) die Funktion der Rahsegel verklart.

Zum Ende seiner ersten Nachtwache wusste fast jeder wie man steuert, was der Ausguck melden soll und besonders tief eingeweihte wussten sogar bereits wie der Broetchenteig fuer die Fruehstueck-Rundstuecke in der Kombuese angesetzt werden musste.
Die Sonne ging gegen 03:30 auf, es wurde kalt und jeder war froh, dass nach getaner Wache und einer Fuelle von neu zu verarbeitenden Informationen mit dem Wunsch ’Gode Ruh’, seitens der abloesenden 04-08 Wache, in die Koje gehen zu dürfen.

Mike

 

 

 

veter i volny 2016 – Kaliningrad – Stockholm

Kaliningrad lag hinter uns. Das war anstrengend gewesen, wir hatten uns von der ersten ‘viv’-crew zu verabschieden und in der kurzen Zeit waren schon einige Freundschaften entstanden. Ich hoffe, sie werden halten… Aber wir hatten keine Zeit zu trauern oder fuer Leerlauf, den in Kaliningrad hatten wir jeden Tag ‘Open Ship’ mit allen Konsequenzen.

Andererseits, das Schiff und die ‘Nemzi’ wurden überaus herzlich angenommen und wir alle hatten den Eindruck wirklich etwas zur Völkerverständigung beizutragen.

Mir persoenlich gefiel sehr, wie selbstverstaendlich und unbefangen die Kaliningrader mit der deutschen Vergangenheit und ihrer Inbesitznahme des ehemaligen Ostpreussen umgingen. Wenn das Thema aufkam war die allgemein geäußerte Ansicht: Ihr Deutschen habt den Krieg angefangen, und nun habt Ihr dafür bezahlt, Kaliningrad ist unsere legitime Beute. – Aber wir restaurieren und behalten die deutsche Vergangenheit -. Im Gegensatz zu den Polen welche seit 1945 nicht ermüden zu erklaeren, dass alles östlich der Oder schon seit Anbeginn der Welt – polnisch ist.

Die neue ‘viv’-crew kam an Bord und wurde, so schnell es ging, integriert.

Das Ausklarieren aus Kaliningrad war langsam aber professionell verlaufen, und dann hatte ich das Vergnügen den gesamten Kanal bis Baltijsk mit dem russischen Lotsen auf der Brücke zu stehen. Er war begeisterter Angler und erklärte mir alle guten Angelstellen im Haff – leider hatten wir nur nicht die Zeit um dafür zu ankern…

Kurz vor Baltijsk erwischte uns noch ein kräftiges Gewitter, das unsere neue Crew ins Oelzeug scheuchte und dann waren wir schon bald auf See…

Sobald es ging wurden die Segel gesetzt und wir legten Kurs auf Gotland.

Unsere neue Crew hatte sich schnell an Bord eingelebt, sodass sich interessante Änderungen ergaben, denn ein wichtiger Mann war in Kaliningrad ausgestiegen: Unser Chefkoch Otto.

Ich hatte Befürchtungen, obwohl er vorgekocht hatte und wir einen detaillierten Plan von ihm mitbekommen hatten. Es kam anders. Die Junx und Deerns von ‘veter i volny’ übernahmen stillschweigend die Kombüse und zauberten die interessantesten und schmackhaftesten Gerichte, zum Teil russisch beeinflusst, aber immer gut essbar. (Gut essbar ist mein persönlich hoechstes Lob für einen Koch).

In Visby auf Gotland legte unser Kpt Thomas Schicke ein gekonntes Anlegemanoever bei starkem Querwind hin und der neue Teil der Trainees von ‘veter i volny’ war schon soweit eingespielt, dass alle Leinen und Fender fast profimäßig bedient wurden. Wir nahmen uns einige Stamm-Leute vor, die sich als nicht sehr körperlich fit erwiesen hatten und übten etwas Seemannschaft (nach).

Die viv-Projektleitung rief zu einer Reflexions-Runde und kam mit ihrem Programm ein Stück weiter.

Inzwischen machte ich mich an die Vorbereitung des Einlaufens nach Stockholm. Das Schärenfahrwasser  ist über 60 Seemeilen lang, stark gewunden und nicht immer breit. Der Seefahrer muss also planen. Ausserdem sehen von See aus für den Ortsunkundigen alle Schaeren (Felseninseln) ziemlich gleich aus. Auf modernen Schiffen fahren sie nach Wegepunkten, die per Seekarte und Erfahrung auf den Ruderautomaten übertragen werden. Der Nautiker fährt dort als Notbremser.

Wir dagegen müssen nach traditioneller Weise jedes Andrehen am Ruder per Hand einleiten und dann den Kurs bis zur nächsten Änderung, manchmal 2 Kabel (370m) manchmal 3Seemeilen (5500m), möglichst genau halten. Dazu entnehmen wir der Seekarte die Kurse, Andrehpunkte, nach Peilung und Abstand von Leuchtfeuern, nach Wassertiefe und nach abgelaufenen Distanzen. Das wird in eine Tabelle, die wir selber erstellen, uebertragen und gilt als Navigationsgrundlage.

Jeder Mensch kann Fehler machen, deshalb bekam Verushka die Aufgabe diese Ausarbeitung Punkt für Punkt zu überprüfen, und danach nahm sich Jana mit Tony das Ganze noch einmal vor. Im Ergebnis gab es einige kleine Korrekturen – und wir sind bis Stockholm nicht auf Grund gelaufen, obwohl es einige spannende Momente gab ;-). ZB als ein grosses Kreuzfahrtschiff bei Sandhammaren die ganze Breite des Fahrwassers beanspruchte und wir in eine Bucht ausweichen mussten.

In Visby wurde für alle Freiwilligen Arbeitsdienst am Schiff organisiert und wir sahen mit Vergnügen Junx und Deerns, welche sich im behüteten Leben an Land nur mit Abscheu von schwarzem Teer abwenden würden, hoch in den Wanten und in den Rahen hängend die Drahte und Blöcke labsalen und schmieren. Wir fingen an zusammenzuwachsen.

Das wurde andererseits auch mein Problem. Inzwischen waren mir Anni, Timur, Eva, Evgenij, Katja, Claus und und und durch die guten Gespraeche, gemeinsame Wachen, gemeinsames Arbeiten so vertraut, dass ich oft dachte, was machen wir, wenn sie von Bord sind? Natürlich geht es weiter, aber es bleibt ein Verlust. Das ging auch einigen Anderen so. Wir trösteten uns mit dem russischen (fast) Sprichwort: po krainje merje fstretilis’ (wir sind uns {wenigstens/immerhin} begegnet).

Dann segelten wir weiter und kamen in die Stockholmer Schären. Dank unserer exakten Vorbereitung a piece of cake, wie einige sagten. Da wir das gesamte Fahrwasser nicht in einem Tag machen konnten ankerten wir in einer romantischen Felsenbucht. Es blieb lange hell und wir saßen noch bis Mitternacht an Deck, ließen die Höhepunkte der Reise passieren.

In Stockholm wartete viel Arbeit auf uns. Wir mussten neu verproviantieren, Schiffsabeiten waren angesetzt und unsere russischen Mädels übernahmen die Kombüse ganz, denn sie wollten zum Captains Dinner, dem traditionellen Festmahl zum Reiseabschluss, mit russischer Küche ueberraschen.

Das gelang vollkommen und selten haben wir ein Captains Dinner so genossen wie an diesem Abend. Dazu war Wein und Bier freigegeben, sodass eine beschwingte Laune aufkam und bei den ‘do svedanije’-Reden viel gelacht wurde. Die Tradition gebietet, dass der Kapitän und die Steuerleute den umfangreichen Abwasch und die Reinigung der Kombüse nach diesem Dinner erledigen. Bis lange nach Mitternacht saßen wir mit Allen zusammen bis die Müdigkeit die Gespräche leiser werden liess…..

Am nächsten Tag musste unsere ‘viv’-crew das Schiff verlassen, für sie schlossen sich noch zwei Tage Stockholm an.

Da trat ein, was ich als den Embryo-Effekt bezeichne. Sie gingen von Bord, brachten ihr Gepaeck ins Hotel – und die meisten kamen wieder an Bord. Sie hatten sich, wie wir inzwischen auch, so an das Schiff gewöhnt, dass wir uns wie ein Embryo im Mutterleib (des Schiffes) fühlen. Und das Abbnabeln sprich Aussteigen wurde schwer.

Ich, persönlich, hatte viel Freude und Befriedigung an diesem Projekt teilhaben zu koennen und werde sehr gerne für weitere Toerns der ‘viv’-idee zur Verfügung stehen.

Mike